Das WSF als UFO, oder: ‚Le forum quoi‘?

Bild: Montreal Evening von Marlusz Kluzniak / Flickr / CC BY-NC-ND

Bild: Montreal Evening von Marlusz Kluzniak / Flickr / CC BY-NC-ND

Heute, an unserem ersten vollen Tag hier im wunderschönen Montréal, beginnt das Weltsozialforum wie üblich mit einer großen und bunten Demonstration, und der Art von redenüberladenen Eröffnungsevent, dass nur Genoss_innen mit wirklich ausgeprägtem Sitzfleisch bis zum Ende bleiben. Man versucht, sich in einer neuen Stadt zurecht zu finden, oft in einer Sprache, der man gar nicht oder kaum mächtig ist, sucht die Veranstaltungsorte, baut seinen Stand auf… So weit, so vertraut.

Aber nach ein paar Stunden in dieser Stadt fällt mir auf, dass eins völlig anders ist. Ich bin beileibe kein guter Sozialforscher, und quantitative Forschungsmethoden erfüllen mich mit mehr Furcht und Abscheu als der Twitter-Account von Erika Steinbach. Aber wenn von 11 EinwohnerInnen dieser Stadt, mit denen ich mehr oder minder zufällig ins Gespräch kam, nur einer auch nur eine Ahnung davon hat, dass heute eines der wichtigsten globalen aktivistischen Events in seiner / ihrer Stadt beginnt, dann glaube ich, dass das eine Bedeutung hat. Klar, kann alles Zufall sein, schlechter, schlechte Fragestellung, schlechtes Französisch… Aber die Antwort auf die Frage, ob meine Gesprächspartner über das Forum Sociale Mondiale (Weltsozialforum) Bescheid wüsste, war fast immer: Le forum quoi? (Das Wasforum) Alice, die mir in einer Juicebar einen Shake verkaufte, dachte auf meine Frage kurz nach und antwortete: ’stimmt, da gibt’s ja dieses große Grafitti-Forum, redest Du davon?‘ Methodologisch belastbar ist das alles nicht. Aber der Eindruck ist stark, dass das WSF hier ein Bisschen wie ein UFO gelandet ist.

Vielleicht ändert sich das mit dem Marsch heute. Vielleicht liegt es an der mäßigen PR der GenossInnen in Montreal, die vermutlich einiges zu tun hatten. Aber ich glaube, dass es dafür noch einen tieferen Grund gibt, und der bezieht sich wieder auf eine der zentralen Fragen, auf die wir in diesem Blog immer wieder zurückkommen werden: war es klug, das Forum im Norden zu veranstalten? Hugo Braun von attac hat zurecht darauf hingewiesen, dass es wichtig sei zu zeigen, dass Armut nicht nur auf den Süden beschränkt sei. Ok, fair enough, in dieser Hinsicht gibt es mit Sicherheit eine Art ‚Südwerdung‘ des Nordens. Aber in einer anderen Hinsicht bleibt ein großer Unterschied zwischen den meisten Gesellschaften des Südens und den immer noch vergleichsweise pazifierten Gesellschaften des Nordens, und ihrer ganz anderen Geschichte: soziale Bewegungen stellen im Norden in der Tendenz eher Protestspektren oder -subkulturen dar, während sie in vielen Ländern des Südens tiefer in alltägliche gesellschaftliche Netzwerke eingelassen sind.

Oder weniger verquast formuliert: Montreal, die Stadt sieht das Forum anscheinend nicht als ‚ihr‘ Event, hat kaum von ihm gehört, und das war bisher bei allen Weltsozialforen, auf denen ich war anders (2005;09;11;13;15).

Wie gesagt, ich könnte mich irren. Vielleicht war mein Sample wirklich schrecklich, und ganz viele Menschen hier wissen vom WSF. Vielleicht stimmt meine Beobachtung, aber meine Erklärung ist Quatsch. Könnte ja auch sein, dass das ganz andere Gründe als Nord-Süd-Frage hat. Wir werden darüber weiter diskutieren, die Demo fängt gleich an, und ich muss los. Aber der Eindruck wird immer stärker, dass es ein Fehler war, das Forum so weit weg von seinen Südwurzeln in den Norden umzupflanzen.

‚Le forum quoi?‘

Le Forum Sociale Mondiale!

Comments
  1. 6 Jahren ago