Reisende der Angst – Der scheele Blick des Westens auf Afrika

von Friedrich C. Burschel

„Unser“ Afrika-Bild, der scheele Blick und die widersprüchlichen, aber stets zweckmäßigen Haltungen von Europäer_innen, Weißen und Bewohner_innen des Westens auf beziehungsweise gegenüber Afrika, ist noch immer geprägt von einer über 500-jährigen Geschichte des Massenmords, der Ausbeutung und der Erniedrigung, des Kolonialismus. Das ist die nicht wirklich überraschende Ausgangsthese der folgenden Überlegungen. Wobei die überkommenen Bilder von den Bewohner_innen des afrikanischen Kontinents gerade in Gesellschaften wie der deutschen und wohl auch österreichischen besonders zählebig sind, weil keine nennenswerte Zahl von Schwarzen in der Population sie zu brechen im Stande wäre. Als Hassobjekte indes taugen deutschen Durchschnittsrassist_innen auch die Afrodeutschen, schwarze Migrant_innen und jene Schwarzen, die das deutsche Asylverfahren über das Land verteilt und in der so genannten Residenzpflicht einsperrt. Anders als in den „Mutterländern“ der europäischen Expansion, etwa England, Holland, Frankreich, Spanien und Portugal, strömen in den mitteleuropäischen Raum keine „kolonisierten Objekte“ aus den überseeischen Kolonialländern als „Subjekte“ zurück, um ihre Viel-Stimme zu erheben – „Yes, the subaltern can speak!“, um mit Gayatri Spivak, „Yes, we can!“, um mit Barack Obama zu sprechen. Zwar können die„Subalternen“ auch in Deutschland sprechen, eine ihrer Organisationen, die Organisation afrikanischer Flüchtlinge, heißt sogar „The Voice“. Aber man hört sie kaum, will sie nicht hören oder betrachtet ihr „unbotmäßiges“ Aufbegehren angewidert mit – ja, wieder – dem Blick von Mitte oben auf der Landkarte nach unten, von Halter zu Sklave, von Herren- zu Untermensch. Und dieser Blick hat auch in Deutschland Tradition, zumindest zurückreichend bis zum späten Einstieg der Deutschen, des Deutschen Reiches in den „Scramble for Africa“, den Run auf das Afrika der Ressourcen und Machtsphären, auf (Bismarcks) Berliner Konferenz von 1885. Das gigantische Menschheitsverbrechen, das dem belgischen König Leopold II. mit dem Erwerb des Kongo-Gebietes auf dieser Konferenz möglich wurde und 10 Millionen Insassen dieses mörderischen Arbeitslagers für Kautschuk und Elfenbein im königlichen Privatbesitz das Leben gekostet hat, ist nur der Größe des Gebietes wegen noch monströser als das, was sich in den kleineren Kolonien rundum, auch im deutschen Teil Kameruns abgespielt hat. Adam Hochschild hat auf diesen Umstand in seinem epochalen Werk Schatten über dem Kongo aufmerksam gemacht:

„Bei einer geschätzten Dezimierung der Bevölkerung um zehn Millionen konnte man damals das Geschehen im Kongo durchaus das mörderischste Kapitel des europäischen Kampfs um die afrikanische Beute bezeichnen. Haltbar ist dies aber nur, wenn man das Afrika südlich der Sahara in seiner willkürlichen Einteilung durch die Kolonialgrenzen betrachtet. Zieht man andere Grenzen – zum Beispiel um den gesamten äquatorialafrikanischen Regenwald mit seinem wilden Kautschuk –, dann ist das, was im Kongo passierte, leider nicht schlimmer als das, was in den Nachbarkolonien geschah. Leopold besaß nur weit mehr von dem Kautschukgebiet als irgend jemand sonst. Ein Jahrzehnt nach seinem einsamen Start gab es anderswo zur Kautschukgewinnung ganz ähnliche Zwangsarbeitssysteme: in den französischen Gebieten westlich und nördlich des Kongo, im portugiesisch beherrschten Angola und im nahegelegenen Kamerun, wo die Deutschen das Sagen hatten.“ (S.393)

Auch hier liegen die Verluste an der Gesamtbevölkerung bei schwindelerregenden 50 Prozent. „Tausende von Flüchtlinge“, so Hochschild weiter, „die über den Kongofluß geflohen waren, um Leopolds Regime zu entkommen, flohen am Ende wieder zurück um den Franzosen zu entkommen“. Und hört sich dieser letzte Satz, der die Umstände um die Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. Jahrhundert beschreibt, nicht wie etwas an, das wir eben in den aktuellen Nachrichten gehört haben könnten? Nachrichten aus dem Grenzgebiet zwischen Ruanda und Kongo, zwischen Uganda und Kongo, zwischen Tschad und Sudan, zwischen Simbabwe und Südafrika? Spielen hinter den mörderischen ethnischen und politischen Konflikten nicht noch immer die westlichen Mächte, um die USA ergänzt, eine mehr als nur traditionelle Rolle?

Auszug aus: Hinterland Nr.15 (Vierteljahresschrift des Bayrischen Flüchtlingsrats)

www.hinterland-magazin.de/pdf/15-14.pdf