Mittwoch, 26. Januar 2011

Margret Geitner berichtet für dieses Blog regelmäßig über ihre Eindrücke der Karawane Bamako-Dakar .

Mittwoch, 26. Januar 2011

Viele der MigrantInnen, die mit uns bei der ARACEM wohnen, sind sehr verzweifelt. Wollen weg. Die einen wollen sich wieder auf den Weg gen Europa zu machen, in der Hoffnung, beim nächsten Mal mehr Glück zu haben, ein Schlupfloch durch die Festung Europa zu finden. Andere haben diese Idee aufgegeben, wollen zurück in ihr Land, zurück zu ihrer Familie. Aber auch das geht nicht. Alle, die hier bei der ARACEM in Bamako gestrandet sind, kommen aus anderen afrikanischen Ländern. Aber der Weg zurück kostet Geld, zuviel Geld. Viele kommen aus Kamerun, aber um dahin zu kommen, bräuchten sie mindestens 100 Euro. Das ist hier unglaublich viel Geld. Fragen beim UNHCR oder dem Roten Kreuz nach Unterstützung führen zu nichts, niemand erklärt sich für zuständig, ihnen zu helfen. Sie sitzen fest, kein Weg hin und keiner zurück.

Ein junger Mann aus Kamerun ist in Algerien von der Polizei aufgehalten worden, erst wurde ihm all sein Geld abgenommen und dann wurde er mit mehreren Hundert Anderen in die Wüste gebracht, dort ausgesetzt. Nur mit Hilfe der Tuareg konnten sie bis zu algerisch malischen Grenze kommen. Dort warten dann meist Freiwillige vom malischen Roten Kreuz, die sie in die nächste Stadt nach Gao bringen. Und dann – wie schon gestern berichtet – führt ihr Weg sie zu eben dem Haus in einem armen Einwandererstadtteil von Bamako – dem Haus der ARACEM.

Besonders aufwühlend ist die Geschichte eines minderjährigen Jungen, der seit vier Jahren auf der Flucht ist. Ihm gelang die Flucht bis nach Algerien und dort ereilte ihn das gleiche Schicksal wie allen anderen. Seit vier Jahren hat er nichts von seiner Familie gehört, weiß nicht, ob sie noch leben und wenn ja wo. Wir werden am Nachmittag gemeinsam mit ihm zu Internationalen Roten Kreuz gehen.

Danach essen wir alle gemeinsam im Haus der ARACEM.

 

In der Stadt findet die erste Aktion der Karawane statt. 150 Menschen versammeln sich vor der französischen Botschaft. Die mit mehr als 50 Leuten angereisten Sans Papiers aus Frankreich, der Organisation, die Mitte der 90er Jahre mit ihren Kirchenbesetzungen für viel Aufsehen sorgte, fordern von der Botschaft, Visa für alle nach Mali Zurückgeschobenen zu erteilen, damit sie umgehend nach Frankreich zurückkehren können!

Vor der Botschaft setzen sich alle DemonstrantInnen, um damit auf die Friedlichkeit ihrer Aktion hinzuweisen. „Die französischen Botschaften in Afrika sind geschützt wie ein Heiligtum“, erklärt ein Aktivist. Politische Aktionen davor werden sofort als gefährlich eingestuft. So auch heute. Die Botschaftsangehörigen nehmen die Forderungen nicht entgegen, warten einige Minuten, danach rufen sie die malische Polizei. Die kommt sofort, mit mehr als 50 Polizisten. Menschen werden weggedrängt und Tränengas eingesetzt. Als die Demo sich auflöst, stellen wir zum Glück fest, dass es keine größeren Blessuren gegeben hat.

Gemeinsam geht es zu einem Spaziergang durch den Stadtteil Bamakos, in dem die AME (Association Maliene Expulsée) ihr Büro hat und unser gemeinsamer Treffpunkt ist. Die AME hat sich nicht nur in Mali einen Namen gemacht, mit vielfältigen Aktionen der Solidarität mit aus Frankreich Abgeschobenen. Sie fahren täglich zum Flughafen in Bamako, um Abgeschobene aufzunehmen, die mit der Air France Maschine, die täglich einmal landet, ankommen. Die AktivistInnen der AME selbst haben lange Jahre in Frankreich gelebt. Sie kümmern sich um die Abgeschobenen, geben ihnen ein Bett für die ersten Nächte, unterstützen sie bei ihren ersten Schritten in einem für sie fremden Land. Haben doch viele von den heute Abgeschobenen 10 oder mehr Jahre in Frankreich gelebt. Sie helfen ihnen bei der Rückkehr zu ihren Familien, bei der Suche nach einer neuen Perspektive in Mali. Aber sie engagieren sich auch politisch, sie organisieren Treffen mit anderen Gruppen in Bamako und darüberhinaus in Mali, die auch zu dem Thema der Rückschiebungen arbeiten.

Wir fahren gemeinsam mit dem Jungen zum Internationalen Roten Kreuz. Die Fahrt führt uns quer durch Bamako, circa eine Stunde lang sind wir im Taxi unterwegs. Und am Ende finden wir uns vor dem Gebäude der Telefongesellschaft Orange wieder. Wir haben mit dem Taxifahrer französisch gesprochen. Die zentrale Verkehrssprache hier aber ist Bambara. Nur 20 % der malischen Bevölkerung spricht französisch, 40 % sprechen Bambara.

Schließlich erreichen wir das Gebäude des IRK, werden freundlich aufgenommen. Sie berichten über ihr Projekt an der algerischen Grenze. Wöchentlich nehmen sie etwa 150 Flüchtlinge an dem Grenzort nahe Tessalit an der algerischen Grenze auf. Zentral sind zunächst Frauen, Kinder, Kranke. Sie könnten wesentlich mehr aufnehmen, aber ihre Kapazitäten geben nicht mehr her, so sagen sie. Häufig kommen mehrere algerische Polizeibusse, die die Abgeschobenen aussetzen. Es gibt keinerlei Zusammenarbeit mit ihnen, keinerlei Informationen. Einer der Männer bei der ARACEM berichtete uns davon, dass sie mit mehr als 600 Menschen in der Wüste ausgesetzt wurden.

Das malische Rote Kreuz arbeitet allein an der Grenze zu Algerien. An der malisch-mauretanischen Grenze sie das spanische Rote Kreuz aktiv, wird uns gesagt. Dazu später mehr. Uns wird der erste Abschnitt der Karawane nach Nioro führen, einer Stadt, die nur 15 km von der mauretanischen Grenze entfernt ist.

Sie bieten Unterstützung für den Jungen an, bei der Suche nach seiner Familie, machen ihm aber keinerlei Hoffnung, da die Kontakte in andere Länder schlecht sind. Wir vereinbaren dennoch ein nächstes Treffen und werden uns als nächsten Schritt an den UNHCR wenden.

Weitere Informationen auf der Seite Afrique-Europe-Interact.net