Climate Space? Riesenchance, verpasst…

Mehr als hundert erfahrene KlimaaktivistInnen aus aller Welt in einem Raum; mehrere Tage Zeit für strategische Debatten, ohne dass dabei noch schnell eine Großaktion über die Bühne gebracht, oder ein sinnloser UN-Gipfel von kritischen NGO-Kadern bespaßt werden muss; das Ganze noch in einem Land, dass nicht nur vor kurzem eine Revolution durchmachte, sondern dass auch dadurch, dass hier sowohl erneuerbare Megaprojekte (wie z.B. die Desertec-Initiative) an den Start, als auch fossile Brennstoffe abgebaut werden, über eine äußerst wichtige Location in globalen Energiekämpfen verfügt. Und zu guter Letzt auch noch eine weitverbreitete Frustration über das Strategieloch, in dem sich die Bewegung findet, ebenso wie eine allgemeine Offenheit, sich auch über altbekannte politische Gräben auf Diskussionen einzulassen, die aus dem Loch herausführen könnten. Besser hätten die Voraussetzungen kaum sein können, um diesen Climate Space zu einem bedeutenden Event in der kurzen Geschichte der noch jungen globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit zu machen.

Schön wär’s gewesen.

Vor ein paar Tagen habe ich geschrieben, dass am Eröffnungstag des Climate Space zwar schöne Reden geschwungen wurden, für die von vielen ersehnten Strategiediskussionen aber kein war. Und genau so ging es weiter. Bewegende, oft mitreißende Beiträge von Bewegungskoryphäen wie Tom Goldtooth vom Indigenous Environmental Network aus Nordamerika, Simone Lovera von der Global Forest Coalition und vielen anderen erinnerten uns daran, dass Agrotreibstoffe, Atomkraft und GMOs sogenannte ‚false solutions’ sind, also bloß angebliche Lösungen der Klimafrage, bei denen es vor allem um Profitinteressen geht, und unter denen diejenigen, die historisch immer schon am meisten gelitten haben, noch mehr erleiden müssen. Wir wurden daran erinnert, dass die Inwertsetzung und Finanzialisierung der Natur durch Emissionsmärkte und die breitere ‚Green Economy’ ebenfalls keine Lösung darstellt. Kernwort hier ist ‚erinnert’: denn in den Räumen des Climate Space hielten sich vor allem Leute auf, denen diese Diskurse schon bekannt sind. ‚Wir’, wenn die Verallgemeinerung erlaubt sei, waren nicht dort, um uns noch mal die Basisargumente der Klimagerechtigkeit zu vergegenwärtigen – da waren wir beim WSF in Belem (2009) schon genau so weit (und politisch mehr am Puls der Zeit). Und als dann noch ein Vertreter von La Via Campesina zu lautem Jubel in den Saal rief, die Lösung für die ökonomische, soziale und ökologische Krise sei „ein allgemeines System kleinbäuerlicher Landwirtschaft“ war mir endgültig klar: ich war beim falschen Event. Strategiediskussionen würden hier nicht stattfinden. Hier streicheln wir nur unsere lädierten AktivistInnenseelen. Denn: was nützt uns dieser Satz strategisch in Nordeuropa?

Natürlich ließe sich hier leicht einwenden, dass ich mit offensichtlich falschen Vorstellungen zum WSF gefahren bin. Wer schon einmal dort war, oder wer sich auch nur die Medienberichterstattung dazu ein bisschen anschaut, wird wissen: das sind keine Orte für detaillierte strategische Planung. Es sind Orte, wo sich Bewegungen nach Außen präsentieren, ihre Inhalte neuen Leuten vermitteln, wo sich regional aktive Bewegungen miteinander vernetzen, wo sich globale AktivistInnen offen und ohne Druck (Arbeit oder gar Repression) mit anderen treffen können und ihre Gemeinsamkeiten ausloten können. Die WSF sind zum ‚Outreach’ da, nicht zur Nabelschau.

Aber auch gemessen an dieser Messlatte war der Climate Space ein wirklich vollkommener Flop. In den meisten Veranstaltungen war keine einzige Stimme aus dem Maghreb zu hören, der globale aktivistische Jetset blieb zumeist unter sich. Perfektes Beispiel dieser Abschottung war das am Freitag Nachmittag stattfindende Treffen der sog. ‚faith communities’, also praktizierender Gläubiger, die sich als solche als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung verstehen. Muslimische Beteiligung an dem Treffen? Gleich Null. Wieso? Weil gläubige Muslime am Freitag Nachmittag lieber beten, habe ich gehört, als sich in Plena reinzusetzen. Dass diese Tatsache, die sogar mir als renitentem Atheisten bekannt war, nicht in den Planungsprozess des Climate Space einfloss, zeigt seine totale Irrelevanz für die lokalen Bewegungen einerseits, und sein Desinteresse an ihnen andererseits.

Es wäre also zweierlei möglich gewesen. Entweder eine wirkliche Öffnung der globalen Klimagerechtigkeitskontexte für neue, auch regional im Maghreb aktive Bewegungen, von denen ‚wir’ (also genau dieser internationale Bewegungskontext bisher nur wirklich wenig wissen. Oder aber eine produktive Schließung des Raumes, um darin die notwendigen Strategiedebatten zu ermöglichen. Am Ende kam weder das Eine, noch das Andere zusammen. Beides wurde nach allen Regeln der Kunst vergeigt. Nur wenige überzeugte CheerleaderInnen konnten am Ende das Fazit vermeiden, dass hier eine riesige Chance verpasst wurde. Frust regierte allenthalben.

Gut, Chance verpasst heißt nicht, dass dort nichts produktives stattfand. Tatsächlich gab es eine vielversprechende spontane Koordinierung zur Vernetzung von Energie- und Klimakampagnen in Europa, von der hoffentlich bald noch mehr zu berichten sein wird. Aber diese notwendigen regionalen Koordinierungsansätze – notwendig, weil strategische Fragen sich nun mal oft zwischen Regionen (und Themenfeldern) unterscheiden – hatten beim Climate Space viel zu wenig Raum. Ich hoffe, die Berichte aus anderen Bereichen des WSF sind positiver. Die skeptischen Stimmen zum Gesamtprozess werden immer lauter…