Kennenlernen am Vorabend des Weltsozialforums

Mehr als 60 TeilnehmerInnen am Weltsozialforum (WSF) aus Deutschland kamen zum Kennenlern-Abend in die Räume der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Eingeladen hatten ATTAC, Brot für die Welt, DGB Jugendwerk NRW, GEW, Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum für solidarische Ökonomie, Slow Food und natürlich die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Der Abend begann zunächst mit einer Trauerminute für die 21 am 18. März beim Terroranschlag in Tunis umgekommenen Menschen. Alle Organisationen aus Deutschland hatten unmittelbar nach dem Attentat diesen menschenverachtenden Anschlag verurteilt und ihre Trauer und Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass Tunesien auf seinem schwierigen Weg einer demokratischen und sozial gerechten Entwicklung nicht zurückgeworfen werden werde.

Peter Schäfer, Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tunis und Gastgeber des Abends sprach zunächst ein paar Worte zur Sicherheitslage und verwies darauf, dass alles getan werde, die Sicherheit der TeilnehmerInnen am Weltsozialforum zu gewährleisten. Aber: vollständige Sicherheit gebe es leider nie.

Letzteres wissen die TeilnehmerInnen und viele sind nun auch gekommen, um nicht nur den Raum Weltsozialforums zu verteidigen, zu füllen und wenn möglich auch weiterzuentwickeln, sondern auch, um an der Seite der tunesischen Linken für eine freie, demokratische und solidarische Gesellschaft zu kämpfen. Dieses Anliegen findet sich nunmehr auch in der veränderten Losung des Internationalen Rates für die Großdemonstration: Alle Völker gemeinsam für Freiheit, Gleichheit, soziale Sicherheit, Frieden in Solidarität mit dem tunesischen Volk gegen Terror und alle Formen von Unterdrückung.

Deswegen wollen wir auch zur Eröffnung demonstrieren und damit zeigen, dass auch Terror Menschen nicht abbringen kann, für ihre demokratischen und sozialen Rechte zu kämpfen und dazu Straßen und Plätze besetzen. Sicher, dass die Unsicherheit bleibt, lässt sich von niemandem ganz verdrängen, auch wenn die Kopien mit der Route der Demo schnell verteilt sind.

Das Forum war immer ein Ort der Vernetzung, der Analyse dessen, was ist und der Wünsche was sein soll; ein Ort der großen Visionen und ebenso großen wie kleinen Projekte, der Diskussionen über Alternativen, die so dringend gebraucht werden. Deshalb sind viele Teilnehmer aus Deutschland nach Tunis gekommen. Bei der großen Vorstellungsrunde, bei der jede und jeder auch sagen konnte, was ihnen bei diesem Sozialforum wichtig ist, werden zum Teil sehr persönlich Gründe für das eigene Kommen genannt.

Tunesien ist auch in der Wahrnehmung der Linken in Deutschland das einzige Land in Nordafrika, das nach der Revolution noch keinen totalen Rollback erfahren musste. Die Volksfront, die geeinte Linke ist im Parlament vertreten und sieht sich als Teil der sozialen Bewegungen und kämpft nunmehr innerhalb und außerhalb des Parlaments zusammen mit Gewerkschaften und Bewegungen um soziale Gerechtigkeit, gute Arbeits- und Lebensbedingungen und um die Sicherung einer freien, demokratischen tunesischen Gesellschaft. Wie sie das tun, wie sie sich hierzu organisieren und mit welchen konkreten Projekten sie ihren Kampf verbinden, möchten viele der TeilnehmerInnen aus Deutschland erfahren. Und man möchte Lernen und selber erzählen, wie in Deutschland unter doch so viel günstigeren Umständen gekämpft wird.

Den deutschen TeilnehmerInnen geht es um die Frage wie hier in Tunesien – und darüber hinaus – um Commons wie Wasser, Land, eine ökologische und gentechnikfreie Landwirtschaft und gentechnikfreies Essen, um Gesundheitsversorgung und Zugang zu Bildung gekämpft wird. Wir suchen hier neue Partner, Gewerkschaften, NGOs mit denen künftig Projekte gemeinsam geplant werden sollen. Deshalb nehmen wir an den vielen Events der Partnerorganisationen teil, knüpfen neue Kontakte und versuchen die Informationen und Eindrücke zu verarbeiten, zu lernen von unseren neuen GenossInnen.

Immer wieder wird als eines der zentralen Themen die Situation der Flüchtlinge und MigrantInnen genannt, Fragen, zu denen u.a. auch Medico und Brot für die Welt arbeiten. Es soll diskutiert werden über menschenverachtende Grenzregime, über die unmenschlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern, aber auch darüber wie die politischen und ökonomischen Ursachen beseitigt werden können. Einige der Anwesenden wollen konkret die Menschen im Choucha-Camp unterstützen. Gefragt wird nach einer Kultur des Friedens, nach Solidaritätsbrücken.

Der Menschen lebt nicht vom Brot allein – Kultur ist wichtig, sie verbindet Völker wie man weiß, sie ist Lebensweise, Lebensgestaltung, sie ist das was, uns lachen lässt! Deshalb gibt es eine Reihe von Workshops zu Kultur, Musik und Tanz – auch als Angebot politischer Bildung. Das Theodorakis-Ensemble ist vor Ort – ein Geheimtipp, den man nicht vergessen sollte, auch wenn bei den über 1000 Veranstaltungen die Wahl nicht leicht sein dürfte.

Dass Bildung den Zugang zu guter Arbeit ermöglichten kann, verbinden viele noch immer mit Hoffnung. Die Frage nur ist wie Bildung gestaltet werden muss, damit sie zugleich einer guten Lebensgestaltung dienlich sein kann und nicht nur den Verwertungsbedingungen dient. Die DGB-Jugend bietet hierzu zwei Workshops zum dualen Ausbildungssystem an.

Immer wieder wird auch die Notwendigkeit freier Medien betont. Dazu gehören freie Radiosender ebenso wie eine gute Berichterstattung über das Forum selbst.

Viele haben ganz konkrete Anliegen: so geht es um verbesserte Kontakte zur Union Générale Tunisienne du Travail (dem tunesischen Gewerkschaftsverband), um Solidarität zu leisten, oder um die Vernetzung mit indigenen Organisationen aus Lateinamerika. Andere wollen mit ihren PartnerInnen neue Strategien diskutieren, wie gegen Armut, Jugendarbeitslosigkeit, für ein Recht auf Bildung für jedes Kind gekämpft werden kann. Ein Teil der Anwesenden ist hier, um daran zu arbeiten das kapitalistische System zu stürzen und durch einen demokratischen Sozialismus zu ersetzen. Ganz praktisch wird dies mit dem konkreten Kampf gegen die Freihandelsabkommen EPAs, TTIP oder CETA und TiSA verbunden. Beim Kampf gegen TTIP ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung vorne mit dabei. Wir werden die Auswirkungen von TTIP auf den Rest der Welt diskutieren. TTIP wird aber auch bei einem Seminar der GEW diskutiert, in dem es v.a. um die Auswirkungen auf die Bildungsfrage geht. Außerdem diskutieren sie mit Partnern über Kinderarbeit und das Recht von Kindern auf Bildung weltweit.

Manche TeilnehmerInnen kommen, weil sie schon gute Erfahrungen auf den anderen Weltsozialforen in Lateinamerika, in Mumbai oder auch beim Tunis Forum vor zwei Jahren gemacht haben. Einige sind extra wegen der Anschläge zu uns nach Tunis gekommen, weil sie meinen, dass gerade jetzt Solidarität nötig ist.