Gegen alle Formen der Unterdrückung. Das zwölfte Weltsozialforum hat in Tunis begonnen

Mit einer Demonstration von mehreren Tausend Teilnehmern in strömendem Regen wurde am Dienstag das Weltsozialforum in Tunis eröffnet. Dunkler als die schwarzen Wolken lastet aber das Attentat auf das Bardo-Museum auf der Stadt, dem Forum und der Demonstration. Deren Motto war vom mahgrebinischen Organisationskomitee in unmittelbarer Reaktion auf das Attentat in „The Peoples of the world united against Terrorism“ umgewandelt worden. Die Demonstration sollte den Charakter eines Trauermarsches bekommen, auf dem auch Regierungspolitiker sprechen sollten. Dagegen wandten sich einige der internationalen Mitgliedsorganisationen im Rat des Forums, die darin eine zu große Nähe zum von den USA proklamierten „Krieg gegen Terror“ sahen. Außerdem war eine gewisse Distanz zu Parteien und Regierungen immer eines der Charakteristika des Forums gewesen, das man nun nicht aufgeben wollte. Aber auch aus der Region erhob sich Protest. Die Assoziation der tunesischen Rechtsanwälte erklärte: „In den vergangenen 15 Jahren spielten die Diskurse, die Politiken und Praktiken des >Krieges gegen des Terror< eine Schlüsselrolle bei der (Re)Produktion der verschiedenen Hierarchien, die die Grundlage der kapitalistischen und imperialistischen Weltordnung bilden“. Die Anwälte warnten, dass die Freiheitsrechte oft genug zu den ersten Opfern dieses Krieges gehörten, und sprachen sich gegen eine Verschiebung des Fokusses weg von den sozialen, ökonomischen und politischen Fragen aus, die den Kern der demokratischen Aufstände in Tunesien und andern arabischen Ländern bildeten. Aufgrund dieser Proteste einigten sich das Vorbereitungskomitee und der Rat schließlich auf das etwas umständliche Motto „Alle Völker gemeinsam für Freiheit, Gleichheit, soziale Sicherheit und Frieden in Solidarität mit dem tunesischen Volk gegen Terrorismus und alle Formen der Unterdrückung.“

Die Route der Demonstration wurde geändert und führte nun zum Bardo-Museum, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Kurzfristig wurde auch der Beginn der Demonstration vorverlegt. Ob es nun daran, am schlechten Wetter oder der Angst vor weiteren Anschlägen lag: Die Demonstration war deutlich kleiner als erwartet. Dominiert wurde sie von Gruppen aus Tunesien und der arabischen Welt. Sichtbar waren vor allem Frauen-, Menschenrechts- und Demokratiebewegungen sowie die Solidarität mit Palästina. Lautstark demonstrierten Teilnehmer aus den Flüchtlingslagern der Westsahara. Aber auch Gruppen wie attac, französische Gewerkschaften und aus Deutschland eine Delegation der GEW traten wahrnehmbar in Erscheinung. Sehr präsent war der Slogan „Je suis Bardo“, mit dem vor allem Menschen aus Tunesien auftraten.

Ob die geringe Teilnehmerzahl aber bereits ein Hinweis auf den vor allem in Europa prognostizierten Niedergang des WSF ist? Zumindest die Anmeldungen für das WSF, an dem über 4.000 Organisationen teilnehmen und in dessen umfangreichen Programmheft sich mittlerweile 1090 Veranstaltungen finden, sprechen eine andere Sprache. Darin erfasst sind nur die Veranstaltungen innerhalb des WSF selbst. Bereits in den Tagen zuvor gab es eine Reihe von Workshops, beispielsweise im Nordafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einer ehemaligen Künstler-Villa. Dort fand unter anderem ein Workshop zu Erfahrungen mit transnationaler gewerkschaftlicher Organisierung statt. An dessen Rande sagte Fernando Lopes, Vizegeneralsekretär des 50 Millionen Mitglieder starken Dachverbandes IndustriALL, gegenüber junge Welt: „Das WSF bleibt ein zentraler Ort des Austausches zwischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, und muss als solcher erhalten bleiben“. Gautam Mody, Präsident der indischen Gewerkschaft NTUI, pflichtete ihm bei: „Hier kann sich aus Gewerkschaften und Bewegungen eine neue antiimperialistische Allianz formieren. Und gerade im Kampf gegen die Prekarisierung der Arbeitswelt können Gewerkschaften einiges von den Bewegungen lernen.“ Kivanc Eliacik von der türkischen revolutionären Arbeiterkonföderation DISK antwortete auf die Frage, ob er denn Angst habe, auf die Demonstration zu gehen: „Wie soll ich da Angst haben, wenn Freunde von mir gegen den IS in Kobane gekämpft haben und gestorben sind? Man kann vor dem IS nicht weglaufen, denn Anschläge kann es überall geben. Man kann ihn nur bekämpfen.“ Andere hatten durchaus Bedenken, auf die Demonstration zu gehen. Auch Fanni Stolz vom Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS hatte zunächst gezögert. Aufgrund des vorverlegten Beginns der Demonstration erreichte sie erst nach der Abschlusskundgebung völlig durchnässt den Platz vor dem Bardo-Museum. „Ich freue mich trotzdem sehr auf das Forum. Besonders möchte ich Workshops zu den Kämpfen arabischer Frauen um ihre Gleichstellung und Veranstaltungen zu Unterdrückung und Widerstand in Palästina besuchen“. Auf diesen Veranstaltungen dürfte sie zumindest trocken bleiben, denn auch in den nächsten Tagen soll es in Tunis regnen.

(Eine gekürzte Fassung dieses Textes erschien am 26.3.15 in der junge Welt: www.jungewelt.de/2015/03-26/016.php )