Lost in Programação

Wo gehe ich morgen hin? Das WSF-Programm

Erster Tag des WSF: Auf dem Treffen der deutschen Delegation fragt jemand nach dem Programm. Eine Teilnehmerin hat die frisch hochgeladene Veranstaltungsübersicht gerade entdeckt und will sie rumschicken. Alte Forumshasen versichern, dieses Forum sei kleiner ist als die vergangenen Male. Übersichtlich ist es jedenfalls dadurch nicht geworden. Die „Programação“ stellt sich als 128-seitiges PDF-Dokument heraus. Ein Vorlesungsverzeichnis der sozialen Bewegungen, zu 95% portugiesisch.

So vorbereitet geht’s aus zum Campus auf dem das WSF stattfindet. Er scheint aufgebaut, um die Misere des brasilianischen Bildungssystems zu illustrieren. Auf dem weitläufigen Gelände gilt es zwischen den heruntergekommenen Betontürmen der Fakultäten den Weg zum richtigen Gebäude zu finden. Ab und zu steht ein abbruchreifes Gebäude leer. Aber das WLAN funktioniert und irgendjemand hat immer die jüngste Raumänderung schon nachgeschlagen.
Die Gebäude und Veranstaltungen sind thematischen Achsen zugeordnet. Das hilft für die Orientierung aber nur bedingt.

In welcher der folgenden 19 Achsen findet sich etwa die Veranstaltungen „spirituality & protest“* (Spiritualität und Protest), „A luta de classe por um Futebol Popular“** (Der Klassenkampf für einen popularen Fußball) oder „Servicios Públicos, Tratados de libre comercio“*** (Öffentliche Dienstleistungen, Freihandelsabkommen):

1. Ancestry, Land and Territoriality
2. Communication, Technologies and Free Media
3. Cultures of resistance
4. Democracies
5. Democratization of the economy
6. Development, social and environmental justice
7. Right to the city
8. Human rights
9. Education and science for the emancipation and sovereignty of peoples
10. Feminism and women’s struggle
11. The future of the WSF
12. LGBTQI + and gender diversity
13. Anti-Colonial Fights
14. Migrations
15. World of work
16. Peace and solidarity
17. Aboriginal peoples
18. A world without racism, intolerance and xenophobia
19. The life of black live

Zusätzlich sollen noch Parolen bei der Strukturierung des Programms eine Rolle spielen. Was soll’s! Die Menschen schlendern entspannt durch den Campus zwischen T-Shirt-Ständen und Capoeira-Vorführungen und finden zu den Podiumsdiskussionen und Workshops. Selbst als sich am dritten Tag kurz nach 15 Uhr die Masse Richtung Ausgang bewegt und sich auf die Busse verteilt, die zum Stadium fahren, in dem am Abend Lula auftritt, bleiben noch genug für die letzten Workshops und die abendlichen Konzerte. Und an der Wand mit der ausgehängten Programação suchen sich die Leute Veranstaltungen für den nächsten Tag raus.

Irgendwie funktioniert das WSF. Jedenfalls als Festival der Parolen, Workshops, Kundgebungen und Flurgespräche. Es bleibt beeindruckend, was für ein bunter Haufen hier zusammenfindet. Und das übergreifende Motto „Widerstand“ ist angesichts der globalen Rechtsentwicklung, des Angriffs auf Frauenrechte, des wachsenden Rassismus und der ungehemmten Naturzerstörung hoch aktuell.

Aber wer die Latte zu hoch legt, kann nur unten durch spazieren: Im Programmheft heißt es: „Das WSF 2018 wird und kann nicht dem nationalen und globalem Kontext entfliehen. Deshalb kann es historische Bedeutung haben.“ Etwas mehr Bescheidenheit, compañerxs!

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*8. Human Rights
**3. Cultures of resistance
*** 15. World of work